Anlässlich Ihres 222jährigen Bestehens hat die Handelskammer und Arbeitgebervereinigung Winterthur (HAW) Mitglieder und Gäste zu einem ungezwungenen Festakt eingeladen. Thomas Anwander und Monika Rühl blickten in Ihren Ansprachen zurück in die Gründerzeit. Der Winterthurer Cenk, aufstrebender Stern am Schweizer Comedy-Himmel nahm auf unterhaltsame Art Bezug zum Jubiläum. Die 160 TeilnehmerInnen genossen das Flying Dinner und diskutierten an der Bar bis tief in die Nacht hinein.
HAW-Präsident Thomas Anwander eröffnet den Abend und umschreibt die Zahl 222 als die Engelszahl. Sie steht für Gleichgewicht, Harmonie und Zusammenarbeit. Zielsetzungen, welche die HAW auch heute unterschreiben kann. Die Gründung der HAW ist ein Zeichen des Aufbruchs in Winterthur nach der französischen Revolution und auch der Beginn der Industrialisierung und wirtschaftlichen Entwicklung. Dank innovativen und unternehmerisch denkenden Personen entstanden Firmen wie Rieter, Sulzer, die Bank in Winterthur (heutige UBS), die Winterthur Versicherungen, die heute zur Axa gehört, aber auch viele mittelständische Unternehmen wie Paul Reinhart AG, Kuhn Rikon, Büro Schoch, BWT, Hasler und viele mehr.
Gleichgewicht gehört auch zur Zahl 222. Eine Stärke des politischen Systems der Schweiz ist das Vertrauen in die politischen Institutionen und die Fähigkeit, Kompromisse zu schliessen. Vertrauen und Kompromisse braucht es auch in der Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern. Die HAW ist eine der wenigen Organisationen, die nicht nur Handelskammer, sondern auch Arbeitgebervereinigung ist. Winterthur ist auch die Wiege der Gesamtarbeitsverträge, so wurde 1937 in Winterthur das Friedensabkommen ausgehandelt. Die HAW glaubt an die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und sieht Gesamtarbeitsverträge als den Königsweg hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse. Wir wehren uns auch deshalb gegen mehr staatliche Vorschriften im Arbeitsrecht und einer schleichenden Aushöhlung des Instruments der Gesamtarbeitsverträge zum Beispiel durch kommunale Mindestlöhne.
Zur Zahl 222 gehört auch Harmonie. Ein gutes Verhältnis unter den Firmen auf dem Platz unabhängig ihrer Grösse ist uns wichtig. Wir setzen uns auch ein, dass unsere Mitgliedsfirmen untereinander freundschaftlich und fair zusammenarbeiten. Eine Stärke des Wirtschaftsstandortes Winterthur sind die kurzen Wege. Dies erlaubt Projekte rasch und effizient zu realisieren. Harmonie und kritisches Denken sind für uns kein Widerspruch. In diesem Sinn nimmt die HAW auch ihre politische Verantwortung wahr und kämpft für gute Rahmenbedingungen für die Winterthurer Unternehmen. Ein wichtiges Anliegen für die Zukunft ist daher, dass wir mehr Leute davon überzeugen wollen, dass Eigenverantwortung, Risikobereitschaft und offene Märkte nicht nur die Grundlage unseres Wohlstandes sind, sondern auch eine wichtige Voraussetzung einer freien Gesellschaft. Hier schliesst sich auch der Kreis zu 1801 wieder. Diese Überlegungen waren auch ein wichtiger Grund, weshalb sich Unternehmer damals in einer Handelskammer organisiert haben.
Der erste Faktor ist die Wirtschaftsfreiheit. Dieses absolut essenzielle Freiheitsrecht verdankt Winterthur – wie alle anderen Regionen der Schweiz Napoleon, der die Wirtschaftsfreiheit in die Schweiz brachte. Zwei Jahre nach der Gründung der Handelskammer Winterthur schuf Napoleon 1803 mit der Mediationsverfassung die liberale Schweiz und damit einen freien Binnenmarkt. Zitat aus der damaligen Verfassung: «Der freie Verkehr mit Lebensmitteln, Vieh und Handelswaren ist gewährleistet». Und weiter: «jeder Schweizerbürger ist befugt, [...] sein Gewerbe [...] frei zu treiben». Damit war eine entscheidende Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung geschaffen. Das liessen sich unternehmerische Köpfe nicht zweimal sagen. Und in der Region Winterthur hatte es deren viele.
Das führt zum zweiten Erfolgsfaktor: Es ist der Unternehmergeist. Zwei Beispiele: Die Spinnerei Hard nahm zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit ihrer schweizweit ersten mechanischen Spinnerei nach britischer Machart erfolgreich die Produktion auf – und startete durch. Die Firma Rieter legte zur selben Zeit mit dem Übergang von der Handels- zur Produktionsfirma den Grundstein für ihren späteren Erfolg als prägendes Industrieunternehmen. Das wirtschaftshistorisch wohl entscheidende Momentum für Winterthur kam bereits 1814, als die Restauration einsetzte. Viele Städte und Regionen der Schweiz kehrten der Wirtschaftsfreiheit und dem Wettbewerb wieder den Rücken. Nicht aber Winterthur, die Ostschweiz und Zürich! Hier konnte sich die aufblühende Industrie weiterhin frei entfalten. Wirtschaftsfreiheit und Unternehmergeist wurden in diesen Regionen zu zwei Konstanten. Der Industriestandort Winterthur blühte auf.
Ausblenden dürfen wir aber auch nicht die Kehrseite der Medaille. Wo schwer gearbeitet wird, passieren auch Unfälle. Wo Unfälle passieren, braucht es Unternehmerinnen und Unternehmer, die Verantwortung übernehmen. Verantwortung ist der dritte Erfolgsfaktor. Verantwortung bedeutete damals konkret, den Industriearbeitern eine Unfallversicherung anzubieten. So geht denn auch die Gründung der heutigen AXA auf die 1875 gegründete Schweizerische Unfallversicherungs-Aktiengesellschaft und spätere Winterthur Versicherung zurück – gegründet auf Initiative von Heinrich Rieter.
Die drei Faktoren haben auch heute ihre uneingeschränkte Gültigkeit. Egal ob Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen, egal ob KMU oder Grossunternehmen, egal ob export- oder binnenmarktorientiert: Die Unternehmen brauchen Freiräume, sie brauchen Innovationsgeist und sie müssen verantwortungsbewusst handeln. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Als Wirtschaftsverbände stehen die HAW, wie economiesuisse in der Pflicht, sich für diese Faktoren einzusetzen. Der Auftrag der Wirtschaftsverbände hat sich über die Jahre nicht verändert. Es braucht auch in Zukunft unternehmensfreundliche Rahmenbedingungen. Es ist deshalb wichtig, dass Verbände wie die HAW auch Klartext sprechen und für ihre Sache einstehen.
Für grosses Aufsehen sorgte bspw. vor drei Jahren eine Mitteilung der HAW mit dem Titel «Wenn Unternehmen und Steuerzahler mit Füssen abstimmen». Die HAW zeigte sich zurecht besorgt, dass innert wenigen Tagen gleich zwei grössere Unternehmen den Wegzug aus Winterthur angekündigt hatten. Der HAW äusserte klipp und klar die Erwartung, dass die Stadt Winterthur Massnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen einleiten muss, damit attraktive Arbeitsplätze und die Steuerkraft erhalten bleiben. Stichworte sind hier attraktive Steuern, die Stärkung der Wirtschaftsförderung der Stadt, den Fokus auf Smart City-Projekte und die Zusammenarbeit mit Hochschulen wie der ZHAW. Es gibt also mit Blick nach vorne viel zu tun. Auch in Zukunft kann die HAW dabei voll und ganz auf die Unterstützung von economiesuisse zählen.