Arbeitsmarkt Winterthur: Nachhaltige Massnahmen ergreifen, bevor es zu spät ist

09.04.20 11:11

Winterthur hat durch die Wegzüge und Stellenstreichungen der drei Firmen Rieter, Zimmer Biomet und Wärtsilä seit Januar 2020 rund 350 private Arbeitsplätze verloren. Von «Einzelfällen» spricht Stadtpräsident Michael Künzle (CVP), als «besorgniserregend» beurteilen hingegen die Arbeitgebervereinigung und die Handelskammer Winterthurs die Situation. Neuste Auswertungen zeigen zwar, dass Winterthur nach wie vor zu den attraktivsten Standorten der Schweiz gehört und die Beschäftigung insgesamt leicht zunimmt. Bei genauerem Hinsehen fällt aber auf, dass die Zahlen mit Vorsicht zu geniessen sind.

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In Zeiten von Corona verlangen kurzfristige Unterstützungsmassnahmen für den Arbeitsmarkt berechtigterweise grosse Aufmerksamkeit - dennoch dürfen gesamtwirtschaftliche Strukturanliegen nicht aus den Augen verloren werden. In diesem Sinne widmet sich dieser Beitrag dem Thema der langfristigen Entwicklung des Winterthurer Arbeitsmarktes.

Winterthur gehört nach wie vor zu den attraktivsten Wirtschaftsstandorten der Schweiz – so die Standortqualitätsstudie der Credit Suisse vom Oktober 2019. Während Winterthur bei Faktoren wie der Erreichbarkeit der Bevölkerung, der Beschäftigten und Flughäfen sehr gut bewertet wird, schneidet die Stadt bei der steuerlichen Attraktivität für juristische Personen schlecht ab. Dies sei hauptsächlich eine kantonale Herausforderung, wie Lucius Graf, Leiter Wirtschaft beim Standortförderer House of Winterthur, meint: «Natürlich ist die Höhe der Steuern für ansiedelungsinteressierte Firmen entscheidend, die Unternehmenssteuern im Kanton Zürich helfen uns sicherlich nicht. Dafür können wir bei Unternehmen mit anderen Argumenten wie guter Betreuung von Interessierten, Förderung von Netzwerken und regem Austausch punkten. Auch die hohe Lebensqualität, das gute Preis-/Leistungsverhältnis und die Ausbildungsmöglichkeiten in Winterthur helfen, Arbeitgeber anzuziehen. Wir sehen in den letzten Jahren ein kontinuierliches Arbeitsplatzwachstum.»

Im Rahmen der 2015 definierten „Impulsstrategie Arbeitsplätze“ wurde bei der Stadt eine Stelle zur Attraktivitätssteigerung für Unternehmen geschaffen: Ein „Ansiedelungsmanager“ versucht als zentrale Anlaufstelle, den Umzug nach Winterthur möglichst einfach zu gestalten. Das House of Winterthur ist zudem jährlich mit ca. 100 interessierten Unternehmen im Kontakt, von denen laut Graf im Schnitt ca. 25% Winterthur als zukünftigen Standort auswählen. Zudem werden regelmässig Themenevents organisiert, um Firmen untereinander zu vernetzen.

Die aktuelle Statistik zur Unternehmensstruktur (Statent) zeigt in Winterthur zwischen 2014 und 2017 ein Beschäftigtenwachstum von insgesamt etwa 3%, was rund 2000 neu geschaffenen Jobs entspricht. In der gleichen Zeit ist die Bevölkerung jedoch um 4% gewachsen. Ausserdem betreffen nur 600 der neuen Stellen den privaten Sektor, der Rest wurde in (sub-)staatlichen Betrieben geschaffen. Die etwa 350 weggefallenen Stellen machen also etwa die Hälfte aller zwischen 2014 und 2017 privat geschaffenen Jobs aus.

Zudem lässt auch die Beschäftigtendichte (Beschäftige / Einwohner) die Vermutung zu, dass Winterthur punkto Arbeitsmarkt noch grosses Potenzial hat: Diese liegt bei rund 65%, dem mit Abstand tiefsten Wert der zehn grössten Schweizer Städte (davor liegen Biel und Lugano mit 72 bzw. 88%, alle weiteren Städte liegen über 90%).

Unter dem Strich steht in den letzten Jahren also ein sehr bescheidenes Arbeitsplatzwachstum – obwohl dies ausdrücklich zu den Zielen der Stadt gehört. „Soft Factors“ wie Austausch, Hilfe bei der Ansiedelung etc. sind nicht zu vernachlässigen – im Gegenteil: sie sind sogar sehr wichtig und helfen, interessierte Firmen zu überzeugen. Doch letztlich zählt für viele Unternehmen, was am Ende des Steuerjahres im Portemonnaie bleibt. Will Winterthur langfristig zu einer der schweizweit attraktiven Arbeitsregionen gehören, muss die Politik zumindest anstreben, dass der Steuerfuss in Winterthur nicht höher ist als in der Stadt Zürich. red/ms

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