Wachstum mit angezogener Handbremse

06.12.23 15:46

Die schwache Konjunktur in verschiedenen Exportmärkten aufgrund von Inflation, geopolitischen Unsicherheiten und höheren Zinsen dämpft die Auslandsnachfrage nach Schweizer Gütern und Dienstleistungen. Die Inlandnachfrage ist dagegen vergleichsweise stabil. Die Schweizer Wirtschaft behauptet sich im schwierigen Marktumfeld, wenn auch das Wachstum unterdurchschnittlich bleibt: economiesuisse schätzt die Zunahme des Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP) für 2023 auf 1,0 Prozent und geht davon aus, dass die verhaltene Wirtschaftsentwicklung mit einem Wachstum von 1,1 Prozent auch 2024 anhalten wird. Die Arbeitslosenquote steigt nicht wesentlich an und die Inflation verharrt bei rund zwei Prozent.

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Die Weltwirtschaft wächst nur langsam und der Welthandel schrumpft derzeit sogar. Einige Länder befinden sich in einer Rezession. Dies stellt die Schweizer Exportwirtschaft vor Herausforderungen. Eigentlich müssten wegen der Aufwertung des Frankens und den höheren Inflationsraten im Ausland die Preise erhöht werden. Doch gerade in der Investitionsgüterindustrie sind derzeit Preiserhöhungen schwierig durchzusetzen, da die schwache Nachfrage die Konkurrenzsituation verschärft. In Deutschland und China schwächelt die Industrie und sucht dringend nach Absatzmöglichkeiten. So sind die Warenexporte Chinas und Deutschlands seit einigen Monaten rückläufig. In beiden wichtigen Absatzmärkten sinken zudem die Immobilienpreise und der Neubau stockt. In China wirkt sich dies stark negativ auf den privaten Konsum aus, da die Konsumenten verunsichert sind und sie als Folge der Immobilienkrise einen Verlust auf ihrem Ersparten hinnehmen müssen. China wächst zwar 2023, aber deutlich unter dem Potenzial. In Deutschland wird der Konsum zudem durch die stark gestiegenen Preise belastet, so dass die Wirtschaft insgesamt in diesem Jahr stagniert oder sogar leicht schrumpft (siehe hier). Demgegenüber wächst die Wirtschaft der USA derzeit besser als erwartet und sie scheint die Zinserhöhungen der jüngeren Vergangenheit bemerkenswert gut zu verkraften.

Die Schweizer Exportwirtschaft behauptet sich in diesem anspruchsvollen Umfeld erstaunlich gut, und die Waren- und Dienstleistungsexporte legen dieses Jahr auf hohem Niveau noch zu. Dies hängt auch damit zusammen, dass einige wichtige Branchen der Schweiz wie die Pharma- und die Medizintechnikindustrie wenig konjunktursensibel sind. Die im Vergleich zu vor der Pandemie stark gestiegenen Energiepreise belasten aber die hiesigen Produzenten. Sie profitieren aber davon, dass sowohl die Inflation als auch die Zinsen im Vergleich zum Ausland deutlich tiefer sind. Entsprechend ist auch der Konsum in der Schweiz weniger unter Druck, obwohl die Nominallöhne in den letzten zwei Jahren nicht mit der Preisentwicklung mithalten konnten. Die Situation in der Binnenwirtschaft wird allerdings durch eine schwache Investitionstätigkeit getrübt, wobei die Ausrüstungsinvestitionen sich besser entwickeln als die Baukonjunktur.

Aussichten sind verhalten, aber mehrheitlich positiv

Für 2024 erwartet die Schweizer Wirtschaft insgesamt eine ähnliche wirtschaftliche Entwicklung wie 2023. Die allermeisten Branchen gehen davon aus, dass sie 2024 zumindest leicht zulegen werden. In der produzierenden Wirtschaft blicken die Pharma-, die Medizinaltechnik-, die Uhren- und die Lebensmittelindustrie positiv in die Zukunft. Innerhalb der Textilindustrie und der Bauwirtschaft wechseln sich Licht und Schatten ab. Deutlich schwieriger wird es aber für die Tech-Industrie (Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie sowie verwandte Technologiebranchen), wo die aktuellen Auftragsbestände für 2024 einen deutlichen Wertschöpfungsrückgang erwarten lassen. Ebenfalls vor einem schwierigen Jahr steht die chemische Industrie.

Auch bei den Dienstleistungen gehen nur wenige Branchen davon aus, dass ihre Wertschöpfung im nächsten Jahr sinken wird. Dies betrifft das Druck- und Verlagswesen und die Telekommunikation, die vor allem strukturell bedingt eine weitere Schrumpfung erwarten. Das Gros der Dienstleistungsbranchen aber – Banken, Versicherungen, Beratung, Gastro, Hotellerie und Tourismus, Transport, Gesundheit, Informatik, Detailhandel – erwarten für 2024 ein mehr oder weniger starkes Wachstum.

Nur leichte Entspannung auf dem Arbeitsmarkt

Die Beschäftigungsaussichten sind nach wie vor gut, auch wenn die Anspannung auf dem Arbeitsmarkt etwas zurückgeht. Das Stellenwachstum und die Zahl der offenen Stellen werden 2024 etwas zurückgehen, und es wird vermehrt Unternehmen geben, die ihren Personalbestand reduzieren. Allerdings führt der anhaltende Arbeitskräftemangel dazu, dass viele Unternehmen, die offene Stellen haben, diese nach Möglichkeit besetzen werden. Die Arbeitslosenquote verharrt daher mit 2,3 Prozent weiterhin auf tiefem Niveau.

Inflation hält sich im Rahmen

Die Inflation ist auch in der Schweiz noch nicht besiegt. Zwar ist die Teuerung im Laufe dieses Jahres deutlich zurückgegangen, doch dies ist vor allem auf die Preisentwicklung bei den fossilen Brenn- und Treibstoffen zurückzuführen. Die gute Nachricht ist, dass im Gegensatz zu den USA oder der Euro-Zone die Kerninflation (ohne Energie- und Nahrungsmittel) in der Schweiz mit derzeit 1,4 Prozent das Inflationsziel der Schweizerischen Nationalbank von 0 bis 2 Prozent erfüllt. Die schlechte Nachricht aber lautet, dass sich für 2024 einige preistreibende Faktoren abzeichnen: Der Anstieg der Nominallöhne, deutlich höhere Strompreise in der Grundversorgung, ein Anstieg der Mehrwertsteuer und steigende Mieten werden die Teuerung wieder etwas anfachen. Werden die Preise für fossile Energie gleichbleiben oder sogar sinken, sollte die Teuerung aufgrund der schwachen Wirtschaftsentwicklung im Jahresdurchschnitt aber in der Grössenordnung von zwei Prozent zu liegen kommen. Es ist daher davon auszugehen, dass die SNB in nächster Zeit höchstens einen weiteren Zinsschritt von 0,25 Prozent machen wird.

Handbremse bleibt angezogen

In Bezug auf die Verwendungsseite des Bruttoinlandproduktes bedeutet dies, dass der private Konsum 2024 weiterhin moderat zunehmen wird. Die tiefe Arbeitslosigkeit und eine Preisentwicklung nahe der Preisstabilität stützen die Nachfrage. Auch die Investitionstätigkeiten nehmen in der Schweiz insgesamt leicht zu, wobei der Bau die Talsohle durchschritten haben sollte und die Ausrüstungsinvestitionen etwas ansteigen. economiesuisse erwartet für dieses Jahr ein Wachstum des realen Bruttoinlandprodukts von 1,0 Prozent und mit 1,1 Prozent ein ähnlich hohes Wachstum im Jahr 2024. Damit verharrt das Wirtschaftswachstum deutlich unter dem Potenzialwachstum. Kaum Wachstumsimpulse aus dem Ausland, der anhaltende Arbeitskräftemangel und grosse geopolitische Unsicherheiten führen dazu, dass sich die Schweizer Wirtschaft nur mit angezogener Handbremse vorwärtsbewegt.

Konjunkturrisiken bleiben gross

Die grössten Konjunkturrisiken sind gemäss der Einschätzung der Teilnehmer der Umfrage von economiesuisse:

Konjunkturrisiko

Prozent Nennungen

Geopolitische Spannungen

22%

Nachfragerückgang

13%

Konjunktur im Ausland

10%

Arbeitskräftemangel

10%

Inflation

10%

Steigende Zinsen

10%

(Über-)Regulierung

9%

Wechselkurs

8%

Energiepreise

8%

Quelle: Umfrage economiesuisse, n=291

Die Risiken liegen also in erster Linie im Ausland und sind oft aneinandergekoppelt: Geopolitische Krisen wie eine Ausweitung des Nahost-Konfliktes oder des Ukraine-Krieges würden die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen, den Franken erstarken lassen, potenziell zu starken Steigerungen der Energiepreise führen und so die Nachfrage nach Schweizer Produkten und Dienstleistungen einschränken. Demgegenüber stellen der Arbeitskräftemangel und die Überregulierung Wachstumshemmnisse aus dem Inland dar.

Zinsen und Inflation belasten ebenfalls, insbesondere die ausländischen Märkte: Die hohen Zinsen in den USA und in Europa verschärfen die Kreditbedingungen für Unternehmen, private Haushalte und Staatshaushalte erst nach und nach. Sollten sich zudem die Kreditausfälle akzentuieren, könnte sich dies zu einer Immobilien- und Bankenkrise auswachsen. Falls Staaten wie Italien in den Fokus der Märkte gerieten, hätte dies weitreichende Konsequenzen für die Weltwirtschaft und damit auch für die Schweizer Wirtschaft. Doch es gibt auch Aufwärtspotenziale: Einige Zeichen deuten darauf hin, dass sich die Industrieproduktion 2024 etwas erholen könnte. Sollte die Inflation zudem Zinssenkungen in den USA und Europa zulassen, würde dies die Konjunktur beleben.

 

Prof. Dr. Rudolf Minsch
Stv. Vorsitzender der Geschäftsleitung, Bereichsleiter allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung / Chefökonom

Medienmitteilung economiesuisse vom 06. Dezember2023

 

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