Die Schweiz braucht jetzt offene Märkte und keine extremen Experimente

19.05.20 09:52

economiesuisse 15.05.2020:
Der Welthandel wird dieses Jahr zwischen 13 und über 32 Prozent einbrechen. Damit unsere Exportnation von einer Wiederbelebung der Absatzmärkte in Europa und auf der ganzen Welt auch profitieren kann, muss der bilaterale Weg fortgesetzt werden. Nur offene Märkte erlauben es unserer Wirtschaft, bei einer Wiederbelebung des Welthandels wieder an Fahrt zu gewinnen.

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Europapolitik                                  Freihandel                                  Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen

Ein ein­zi­ger Satz reicht aus, um mir die Trag­wei­te der Aus­wir­kun­gen der Co­ro­na-Pan­de­mie noch­mals vor Augen zu füh­ren: «Der Welt­han­del wird die­ses Jahr je nach Sze­na­rio zwi­schen 13 und über 32 Pro­zent ein­bre­chen». Diese Aus­sa­ge stammt von Ro­ber­to Azevêdo, die er an­läss­lich einer Vi­deo­kon­fe­renz ge­macht hat. Azevêdo ist Ge­ne­ral­di­rek­tor der Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­ti­on (WTO) mit Sitz in Genf. Kurz zu­sam­men­ge­fasst be­deu­tet das nichts an­de­res, als dass die Co­ro­na-Pan­de­mie den schlimms­ten Ein­bruch des glo­ba­len Han­dels seit der Welt­wirt­schafts­de­pres­si­on vor 90 Jah­ren ver­ur­sacht. 

Die Schweiz ist und bleibt eine Ex­port­na­ti­on. Zwei von fünf Fran­ken ver­die­nen wir im Aus­land.

Das wirkt sich na­tür­lich auch auf das un­mit­tel­ba­re Han­dels­um­feld der Schweiz aus. Die Wirt­schaft der Eu­ro­päi­schen Union (EU) wird ge­mäss Pro­gno­sen über sie­ben Pro­zent ein­bre­chen, die In­ves­ti­tio­nen gar um 13 Pro­zent. Da die EU die mit Ab­stand wich­tigs­te Han­dels­part­ne­rin un­se­res Lan­des ist, sind das für uns alle äus­serst schlech­te Nach­rich­ten. Auch des­halb, weil die Schweiz eine Ex­port­na­ti­on ist. Zwei von fünf Fran­ken ver­die­nen wir im Aus­land. Wel­che Kon­se­quen­zen er­ge­ben sich nun kon­kret für un­se­re Aus­sen­wirt­schafts­po­li­tik? 

Eine An­nah­me der Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve wäre in der ak­tu­el­len Krise gleich gra­vie­rend, wie wenn ein Ka­pi­tän mit­ten im Orkan alle Ma­schi­nen stop­pen würde.

Für mich steht eines ganz klar im Vor­der­grund. Es ist jetzt nicht die Zeit für ex­tre­me Ex­pe­ri­men­te. Damit meine ich die SVP-Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve, über die wir im Sep­tem­ber ab­stim­men wer­den. Nur ein Nein kann ver­hin­dern, dass wir die Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt – die mit Blick auf die Re­zes­si­on noch wich­ti­ger ist als je­mals zuvor – ver­lie­ren. Die Kün­di­gungs­in­itia­ti­ve will das Frei­zü­gig­keits­ab­kom­men mit der EU in­nert eines Jah­res be­en­den. Wegen der Guil­lo­ti­ne-Klau­sel wür­den mit die­sem Schritt aber au­to­ma­tisch alle wei­te­ren sechs Ab­kom­men des Ver­trags­pa­kets der Bi­la­te­ra­len I ge­kün­digt. Das wäre in der jet­zi­gen Si­tua­ti­on etwa gleich gra­vie­rend, wie wenn ein Ka­pi­tän mit­ten im Orkan auf ein­mal alle Ma­schi­nen stop­pen würde. 

So wie die Schwei­zer Bau­ern auf eu­ro­päi­sche Ern­te­hel­fer an­ge­wie­sen sind, brau­chen auch Schwei­zer Ex­port­un­ter­neh­men gut qua­li­fi­zier­te aus­län­di­sche Fach­kräf­te. Sie sind dar­auf an­ge­wie­sen, Zu­gang zu ihren Kun­den in Eu­ro­pa zu glei­chen Be­din­gun­gen wie ihre Kon­kur­ren­ten zu haben. Nur so kann die Schwei­zer Aus­sen­wirt­schaft in den kom­men­den Mo­na­ten und Jah­ren wie­der Tritt fas­sen und zu­rück zu alter Stär­ke ge­lan­gen. Die Ab­satz­märk­te in Eu­ro­pa müs­sen sich wie­der er­ho­len. Eine Be­en­di­gung des bi­la­te­ra­len Wegs genau zu Be­ginn die­ser Er­ho­lung würde dazu füh­ren, dass die Schwei­zer Un­ter­neh­men in einem kri­ti­schen Mo­ment ihre Markt­an­tei­le in Eu­ro­pa nicht mehr ver­tei­di­gen könn­ten. 

Es ist ein Fake, dass die hin­der­nis­freie Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt ohne Frei­zü­gig­keit mög­lich ist.

Nur die Teil­nah­me am Bin­nen­markt er­laubt es, dass un­se­re Wirt­schaft bei einer Wie­der­be­le­bung wie­der mit vol­ler Kraft an Fahrt ge­win­nen kann. Lei­der wird dies­be­züg­lich auch immer wie­der kol­por­tiert, dass die Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt pro­blem­los ohne Frei­zü­gig­keit mög­lich sei. Das ist nach­weis­lich falsch. «Nächs­tes Jahr er­war­ten wir eine Er­ho­lung des Welt­han­dels. Aber nur, wenn es nicht zu einer Zu­nah­me der Markt­ab­schot­tung kommt», so Ro­ber­to Azevêdo an der glei­chen Vi­deo­kon­fe­renz. Somit ist die Fort­set­zung des bi­la­te­ra­len Wegs und auch der Aus­bau un­se­rer Frei­han­dels­ab­kom­men aus­ser­halb Eu­ro­pas Gebot der Stun­de.

 

Dr. Jan Atteslander

Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter Aussenwirtschaft

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