Innovationen braucht das Land

10.09.22 13:10

Mit ihrer Forschung und Entwicklung spielt die Schweiz seit Jahren in der obersten Liga der weltweit innovativsten Länder. Aber hier ist die Luft dünn: Wer an der Spitze bleiben will, braucht kluge Köpfe und gute Rahmenbedingungen. Zu diesen gehören Exzellenz in Bildung und Forschung, unternehmerische Freiheiten und Technologieoffenheit, wie economiesuisse-Präsident Christoph Mäder am Tag der Wirtschaft in Lausanne sagte. Dies gelte auch mit Blick auf die Energieversorgung.

economiesuisse

Der am 9. September 2022 in Lausanne durchgeführte Tag der Wirtschaft stand unter dem Motto 'Innovationen braucht das Land'. Christoph Mäder, Präsident von economiesuisse, stellte seine in der Folge wiedergegebene präsidiale Ansprache unter den Titel: Mit Innovationen zur Versorgungssicherheit, Innovation braucht exzellente Bildung und Forschung, Wirtschaftsfreiheit und Technologieoffenheit.

Die Schweizer Wirtschaft wurde in jüngerer Vergangenheit mit riesigen Herausforderungen konfrontiert: Frankenschock, Klimawandel, Pandemie, Lieferengpässe, Fachkräftemangel, Krieg in Europa, Energie- krise, Inflation.

Immer, wenn wir gehofft hatten, das Schlimmste sei nun überstanden und das Unheil abgewehrt, tauch- ten am Horizont neue Gewitterwolken auf. Nach der Krise ist vor der Krise. Dabei zeigt sich die Schwei- zer Wirtschaft immer wieder erstaunlich robust – so auch in der Corona-Pandemie.

Woran liegt das? Die Corona-Einschränkungen waren bei uns nicht ganz so rigide wie in vielen anderen Ländern. Das war sicher ein Vorteil. Aber warum zeigt sich die Schweizer Wirtschaft auch in vielen ande- ren Krisen immer wieder so belastbar und so widerstandsfähig? Zufall?

Nein! Was die Schweiz durch alle Krisen hindurch zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt ge- macht hat, ist das Primat der unternehmerischen Freiheit vor der politischen Agenda eines Zentralstaates. Die Geschichte unseres Landes ist weitgehend die Geschichte unserer erfolgreichen Volkswirtschaft. Auch wenn sich der aktuelle Zeitgeist dagegen sträuben mag, so bin ich zutiefst davon überzeugt: In der Schweiz geht es den Menschen gut, weil die Wirtschaft erfolgreich ist. Wir haben heute einen hohen Lebensstandard, hervorragende Beschäftigungsaussichten, leistungsfähige Sozialwerke und erstklassige Infrastrukturen. Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis harter Arbeit, vieler kluger politischer Entscheidungen und eines vernünftigen Umgangs mit öffentlichen Geldern.

Ein Blick zurück auf die vergangenen 18 Monate offenbart immer wieder die beachtliche Widerstandsfä- higkeit der Schweizer Wirtschaft. Unternehmen und Bevölkerung haben bewiesen, dass sie enorme Be- lastungen und Störungen gemeinsam bewältigen und rasch wieder zur Normalität zurückzukehren kön- nen. Diese Fähigkeit ist Ausdruck einer ausgeprägten Resilienz.

Diesen Begriff hörten wir während der Pandemie oft. In der Technik und in der Physik meint Resilienz die Fähigkeit von Systemen, bei Störungen oder Ausfällen von Teilsystemen nicht vollständig zu versagen, sondern wesentliche Systemdienstleistungen aufrechtzuerhalten. Genau das haben wir erlebt. In Wirt- schaft und Gesellschaft geht es aber nicht nur um Technik, sondern vor allem um Menschen. Deshalb ist Resilienz auch Ausdruck von gesellschaftlichem Zusammenhalt, von Solidarität und Gemeinsinn, von be- währten Strukturen, aber auch von Innovationskraft, von Fokus und Optimismus.

Soweit so gut. Nun stellt sich die Frage, wie die genannten disruptiven Ereignisse unsere Wirtschaft und Gesellschaft verändern oder bereits verändert haben? Im Sinne einer nachhaltigen Widerstandsfähigkeit umfasst Resilienz nämlich idealerweise auch eine inhärente Lern- und Entwicklungsfähigkeit. Diese ist Voraussetzung für jedes Unternehmen, langfristig überleben und prosperieren zu können.

Was haben wir also aus den vergangenen Krisen gelernt? Wir haben zum Beispiel gelernt, dass der Staat einspringt und den Unternehmen finanziell unter die Arme greift, wenn es hart auf hart kommt. Bei anhaltendem Staatsversagen in bestimmten Bereichen oder bei extremen Ereignissen mit globalen Di- mensionen wie bei einer Pandemie ist gegen zeitlich und im Umfang eng begrenzte Hilfspakete für Härte- fälle nicht wirklich viel einzuwenden.

Diese Erkenntnis aus der Pandemie hat aber eine Kehrseite: Die ohnehin schon latent vorhandene An- spruchshaltung gegenüber dem Staat und die wachsende Vollkasko-Mentalität wurden in der Pandemie weiter geschürt. Mit der Corona-Krise wuchsen auch in verschiedenen Wirtschaftszweigen und Berufs- ständen die Begehrlichkeiten nach einer Unterstützung aus der Staatskasse. Und auch im politischen Bern beobachten wir gewisse Narben aus der Corona-Pandemie. Die Staatsinterventionisten feierten schon während des Lockdowns frivol die damals einzige zugelassene Party. Und sie tun dies in vielen Bereichen weiter. Es scheint fast, als hätte sich eine Art «Bundesbernisches Long Covid» herausgebildet, bei dem Interventionen und Unterstützungen durch den Staat in Serie durchgewinkt werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das verheisst nichts Gutes! Auch wenn schon bald Parlamentswahlen anstehen, sollten die Volksvertreterinnen und -vertreter ihre Spendierfreudigkeit mässigen und gesunde Staatsfinanzen sowie eine regulatorische Zurückhaltung auf dem Radar behalten.

Dass der Staat hilft, wenn es eng wird, darf auf gar keinen Fall zur Normalität werden, weder heute noch morgen. Risiken einzugehen und die Konsequenzen dieser Risiken zu tragen. – im Guten wie im Schlechten – sind elementare Grundpfeiler des Unternehmertums. Die Grundprinzipien des freien Unter- nehmertums gilt es unter allen Umständen zu schützen. Und deshalb – frei nach John F. Kennedy: «Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann. Fragt stattdessen, was wir gemeinsam tun können für ein freies Unternehmertum und für eine liberale und nachhaltige Marktwirtschaft. Denn sie sind das Fundament unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit und damit unseres Wohlstands.»

Was wir auch aus der Krise gelernt haben: Die Wettbewerbsfähigkeit ist für unser kleines Land ein Le- bensnerv. Nur aufgrund ihrer bemerkenswerten internationalen Wettbewerbsfähigkeit hat die Schweizer Wirtschaft die Corona-Krise so gut überstehen können. Aber Wettbewerbsfähigkeit ist nicht statisch. Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit braucht ständige Anstrengung, sowohl der Unternehmen wie auch der staatlichen Organe und Entscheidungsträger. Wettbewerbsfähigkeit bedingt auch Reformfähigkeit, denn Stillstand bedeutet Rückschritt im internationalen Wettbewerb. Wenn wir weiterhin an der Spitze bleiben wollen, müssen wir Reformblockaden lösen und unsere eklatante Reformunfähigkeit entschlossen ange- hen. In der Altersvorsorge zum Beispiel steuern wir auf eine demografisch bedingte Krise zu. Mit der Re- form AHV 21 haben wir die Chance, endlich einen Reformschritt zu machen und das Krisenrisiko zu sen- ken.

Unser freier und offener Arbeitsmarkt wird geschwächt durch sozialpartnerschaftlichen Protektionismus. Die öffentlichen Verwaltungen schwellen an und mit ihnen die Bürokratie. Staatsnahe Betriebe graben privaten Unternehmen das Wasser ab, die Liberalisierung des Strommarktes stockt und im Gesundheits- wesen ist der Wettbewerb längst massiv eingeschränkt.

In der Schweiz wächst ein allumsorgender Staat heran. Er schwächt schleichend die Selbstverantwor- tungskräfte der Menschen, huldigt einer bürokratischen Betreuung und ist abgabenhungrig. Darunter lei- det das freie und verantwortungsvolle Unternehmertum. Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft werden gehemmt.

Aber Hand auf unser politisches Herz, meine Damen und Herren. Sind es nicht auch bürgerliche Kreise, ja, sind es nicht auch Unternehmerinnen und Unternehmer selbst, von denen immer häufiger der Ruf nach staatlichen Subventionen und finanziellen Unterstützungen aller Art ertönt? Natürlich ist es grundsätzlich vollkommen legitim, nichts unversucht zu lassen, um Fortbestand und Wohlergehen eines Unternehmens zu sichern. Aber: Dürfen wir dabei ordnungspolitische Grundsätze leichtfertig und ohne Zögern auf den Opferstock legen? Soll sich der Staat nicht mehr nur auf das Organisieren von Markt und Wettbewerb beschränken, sondern selbst in den Wettbewerb eingreifen dürfen, wenn es einem selbst nützt?

Verehrte Damen und Herren, ich warne ausdrücklich davor! Ordnungspolitische Prinzipien garantieren unternehmerische Freiräume. Wer diese Prinzipien über Bord wirft, verzichtet auf Freiheit. Wer in schwie- rigen Zeiten leichtfertig nach dem Staat ruft, kann gewiss sein, dass der Staat auch dann zur Stelle ist, wenn man ihn nicht braucht und gerade nicht will. Die Wirtschaft darf nicht zum Steigbügelhalter von Staatsinterventionismus werden.

Ich habe es eingangs gesagt: Die Schweiz hat eine lange und erfolgreiche Tradition von unternehmeri- scher Verantwortung. Zu den typischen guten Tugenden helvetischer Unternehmerinnen und Unterneh- mer gehört eine umsichtige Unternehmensführung. Viele Schweizer Unternehmen sind stolz auf einen vergleichsweise hohen Eigenfinanzierungsgrad und sie schätzen finanzielle Solidität. Dafür sind sie be- reit, auf allzu waghalsige Abenteuer, Übertreibungen und Eskapaden zu verzichten. Das schlägt sich dann zum Beispiel in starken Bilanzen nieder. Auch das ist eine wichtige Voraussetzung für die Resilienz eines Unternehmens.

Es gehört ebenfalls zu den guten Tugenden schweizerischen Unternehmertums, dass Bescheidenheit und Gemeinsinn wichtige Erfolgsfaktoren sind und bleiben. Unsere Wirtschaft muss auch ihre gesell- schaftliche Verantwortung weiterhin wahrnehmen. Selbst wenn eine gewisse Wohlstandssättigung in wachsenden Teilen der Bevölkerung um sich greift, dürfen wir als Führungskräfte in Wirtschaft und Ge- sellschaft nicht in Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit verfallen.

Dies zeigt sich gerade jetzt umso stärker, wo sich eine toxische Mischung aus gefährlichen Entwicklun- gen im internationalen Umfeld zusammenbraut und bereits zur grössten exogenen Krise seit Jahrzehnten geführt hat.

Zunächst das Stichwort Ukraine: Angesichts der Nachrichten und Bilder aus dem Kriegsgebiet stockt uns der Atem: Die russische Armee führt nun seit über einem halben Jahr einen heftigen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland. Der Krieg dauert mit unverminderter Heftigkeit an und er hat ein latentes und erhebli- ches Eskalationspotenzial: Wer weiss heute schon, was in den kommenden Monaten noch geschehen wird? Auf jeden Fall gehört es zu unserer humanitären Tradition, dass wir den Kriegsopfern nach Kräften helfen und Menschen aus der Ukraine einen sicheren Zufluchtsort bieten.

Ein anderer Gefahrenherd liegt im Osten des Südchinesischen Meers. Was der Besuch einer alten Dame in Taiwan an chinesischem Säbelrasseln auslösen kann, lässt uns erschaudern. Es ist aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, welche tektonischen Verschiebungen im geopolitischen Gefüge ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan auslösen würde. Der Aufstieg Chinas zur wirtschaftlichen Supermacht hat auch die politischen Kräfteverhältnisse verschoben. Viele Schweizer Unternehmen pflegen seit Jahren wirtschaftli- che Beziehungen zu China. Sie importieren chinesische Güter zum Verkauf oder zur Fertigung von Pro- dukten, sie exportieren selbst Güter und Dienstleistungen für den chinesischen Markt und sie investieren direkt in Produktionsstätten in China. Das Land im Reich der Mitte gehört neben der EU und den USA zu den Hauptzielmärkten der Schweizer Wirtschaft. Und das Potenzial ist weiterhin gross. Nicht auszuden- ken, welche Konsequenzen allfällige Sanktionen, wie sie derzeit Russland erfährt, gegen China für die Schweizer Wirtschaft hätten.

Die Wirren der Gegenwart führen uns brutal vor Augen, wie grundlegend das Bedürfnis der Menschen nach Frieden, Sicherheit und Unversehrtheit ist, und dass diese keineswegs selbstverständlich gesichert sind. Bürgerinnen und Bürger eines Landes können nur dann erfolgreich wirtschaften, wenn sie sicher sind und sich sicher fühlen. Deshalb muss sich auch die schweizerische Sicherheitspolitik der veränderten Umwelt stellen und die notwendigen Vorkehrungen treffen, um die Sicherheit und Stabilität unseres Landes garantieren zu können. Sicherheit führt im Verbund mit Selbstverantwortung und Wettbewerb zu Innovation, Wirtschaftswachstum und Resilienz.

An grossen Herausforderungen im Umfeld fehlt es unseren Unternehmen beileibe nicht. Was ihnen im Moment aber fehlt, sind Arbeitskräfte, Güter und möglicherweise schon bald auch die Energie. Die aktu- elle Situation ist für viele Unternehmen schwierig. Wie haben wir in Politik und Wirtschaft damit umzuge- hen? Was heisst verantwortungsvolles Handeln in einem multitoxischen Umfeld?

In unserer «Wirtschaftspolitischen Agenda» haben wir – zusammen mit dem Arbeitgeber- und dem Ge- werbeverband – verschiedene Handlungsfelder skizziert, mit denen wir den Wirtschaftsstandort Schweiz nachhaltig stärken und resilienter machen wollen. Eines der zentralsten Handlungsfelder betrifft Innova- tion und Forschung. Sie sind unabdingbar für die weitere Prosperität unserer Volkswirtschaft. Auch des- halb haben wir Innovation als Thema des heutigen Tags der Wirtschaft gewählt. Sie werden heute noch viel über Innovation und die Voraussetzung dafür hören. Ich werde mich an dieser Stelle deshalb kurz halten.

Innovation ist der Motor jeder Wirtschaft. Und für das Hochkostenland Schweiz ist die Innovationsfähig- keit sogar vital. Zielführende Innovation verbindet Forschung und Wissenschaft mit der Praxis. Konkret schlagen wir den weiteren Ausbau der – privaten und staatlichen – Innovations- und Forschungsressour- cen und -prozesse sowie eine praxisnahe Ausgestaltung der Innovations- und Forschungsförderungen vor. Zudem plädieren wir für eine Einbindung des Schweizer Forschungsplatzes in internationale For- schungsnetzwerke. Und schliesslich unterstützen wir ein entschlossenes Handeln gegen den Fachkräfte- mangel durch eine Stärkung der Berufsbildung und der Ausbildung in den MINT-Fächern. Wenn wir wei- terhin der ersten Liga mitspielen wollen, müssen die Naturwissenschaften und die Ingenieurausbildung unbedingt mehr Gewicht erhalten. Das würde auch helfen, der zunehmenden Technikfeindlichkeit wirk- sam zu begegnen.

Zusammenfassend brauchen wir für unseren innovativen Wirtschaftsstandort Exzellenz in Bildung und Forschung, unternehmerische Freiheiten und vor allem Technologieoffenheit.

Wie falsch Technologieverbote sind, sehen wir exemplarisch in der Energieversorgung. Auch wenn die Dekarbonisierung und neuerdings der Ukraine-Krieg die Versorgungssicherheit weiter verschärft haben, so war schon vor diesen Entwicklungen klar, dass der Stromverbrauch in der Schweiz weiter massiv an- steigen würde. Und es war auch klar, dass der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen mit diesem massiven Verbrauchsanstieg nicht Schritt halten kann. Trotzdem hat das Stimmvolk 2017 ein Bewilli- gungsverbot für neue Kernkraftwerke beschlossen. In der Zwischenzeit wurde das erste Kernkraftwerk vom Netz getrennt, ein Stromabkommen mit der EU liegt in weiter Ferne und verlässliche Stromimporte aus unseren Nachbarländern verkommen zusehends zum reinen Wunschdenken.

Nun steuern wir, wie Sie – meine sehr geehrten Damen und Herren – wissen, in den kommenden Mona- ten geradewegs auf eine mögliche Energiemangellage zu. Die drohenden Engpässe in der Strom- und Gasversorgung beschäftigen die Unternehmen stark und sorgen für grosse Verunsicherung. Viele sähen sich im Ernstfall mit existenziellen Nöten konfrontiert. Betriebsschliessungen und Arbeitslosigkeit sind ein realistisches Szenario. Vor diesem Hintergrund fordern wir Bundesrat und Verwaltung auf, einen zusätzli- chen Effort für die Verhinderung einer Mangellage zu leisten.

Schon vor etwa einem Jahr hat die Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom vor möglichen Strom- mangellagen bereits ab 2025 gewarnt. Inzwischen hat sich die Situation leider nicht entschärft. Im Ge- genteil: Die drei Pfeiler einer wirksamen Energieversorgung – Sicherheit, Preis und Klimaneutralität – sind akuter bedroht denn je. So hat die Kommission nun Anfang Juni vor möglichen Engpässen bei der Stromversorgung bereits im kommenden Winter gewarnt.

Eine Strommangellage wäre ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Desaster und muss unbedingt verhindert werden. Allein die volkswirtschaftlichen Schäden könnten im zwei- bis dreistelligen Milliarden- bereich liegen. Der drohende irreparable Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in den Staat und seine Fähigkeit, die Grundversorgung zu gewährleisten, ist zwar nicht quantifizierbar, wiegt aber schwer.

Damit die Schweizer Stromversorgung auch in Zukunft gesichert ist, muss die Politik die Energiezukunft umfassender denken und eine technologisch breit abgestützte, erschwingliche und innovative Versor- gung ermöglichen. Wir haben dazu schon vor Monaten konkrete Vorschläge gemacht:

  1. Die Wirtschaft fordert die Definition eines Schwellenwerts beim Stromimport im Winter, da die Stromlücke insbesondere im Winterhalbjahr droht. Wir sehen diesen Wert bei 10 TWh. Zeichnet sich mittel- bis längerfristig eine dauerhafte Überschreitung dieses Schwellenwerts ab, müssen die Kapazitäten zur Stromproduktion prioritär, frühzeitig und unbürokratisch erweitert werden.

  2. In der Energie- und Klimapolitik sind klare Prioritäten zu setzen: Versorgungssicherheit vor Klima- schutz, dann Natur- und Heimatschutzinteressen. Aktuell gibt es ein Übergewicht am Interesse des Natur- und Heimatschutzes. So sollte beispielsweise das generelle Bauverbot für die Nutzung der Wasserkraft bei Gletschervorfeldern gestrichen werden, denn gerade diese Gletschervorfelder bieten sich für die Nutzung der Wasserkraft an und sind wichtig, wenn man die Wasser- kraft in der Schweiz ausbauen will.

  3. Wir brauchen Technologieoffenheit in der Stromproduktion: Die Technologie entwickelt sich schnell und wir können uns nicht leisten, bereits jetzt Türen zu schliessen. Das erleichtert und beschleunigt die Zielerreichung. Ein innovatives Marktumfeld ermöglicht es, dass alle energiewirt- schaftlichen Möglichkeiten optimal genutzt werden. Dafür gilt es auch, die Integration in den EU- Strombinnenmarkt vorzubereiten.

  4. Der Strompreis ist fundamental für Gesellschaft und Wirtschaft: Bei weiteren Kosten für den Zubau muss daher nach kostenneutralen Finanzierungen für die Endkunden gesucht werden. Ausserdem ist die vollständige Strommarktöffnung längst überfällig. Sie schafft die Voraussetzungen für Innovation und ist damit auch ein Garant für die Versorgungssicherheit.

  5. Die Wirtschaft selbst kann und will mit einer Stromeffizienzoffensive eine wichtige Rolle spielen: Dafür braucht es aber die richtigen Rahmenbedingungen. Die Erfahrungen mit dem CO2-Gesetz haben gezeigt, dass ein «Anstoss» wie die Rückerstattung der CO2-Abgabe bei Reduktionsver- pflichtungen viel bewegen kann. Dieses Modell der Zielvereinbarungen sollte auch auf das Ener- giegesetz übertragen werden.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Wir stehen kurzfristig vor einigen ganz schwierigen Herausforderungen. Dafür brauchen wir möglichst rasch gute Lösungen. Aber als Führungskräfte in der Wirtschaft tragen wir auch Verantwortung für das Morgen und Übermorgen. Dabei müssen Ordnungspoli- tik und finanzielle Disziplin stets unsere Leitschnur bilden.

Das gilt auch für Volksabstimmung vom 25. September über vier wirtschaftspolitische Vorlagen. Ich lade Sie ein, gehen Sie an die Urne und bezeugen Sie mit Ihrem Stimmzettel Ihre Unterstützung für den Wirt- schaftsstandort Schweiz. Alle vier Dachverbände der Schweizer Wirtschaft sagen JA zur Reform der Ver- rechnungssteuer, JA zur Reform AHV 21, JA zur Zusatzfinanzierung der AHV und NEIN zur Massentier- haltungsinitiative.

Zum Schluss noch eine Bitte an Sie persönlich: Die Wirtschaft muss in der öffentlichen Debatte unbedingt wieder vermehrt sichtbar werden. Wir müssen der zunehmenden Entfremdung von Wirtschaft und Gesell- schaft entgegenwirken. Darum haben wir im vergangenen Jahr das Projekt «Wirtschaft. Wir alle.» lanciert und damit einen Stein ins Rollen gebracht. Auch verschiedene Handelskammern und Branchenverbände haben – zum Teil schon viel früher – eigene Projekte mit ähnlichen Zielsetzungen gestartet, sei das im Bereich der Deutungshoheit oder der Nachhaltigkeit. Das freut mich persönlich sehr und stimmt mich zu- versichtlich, dass wir gemeinsam die Stimme der Wirtschaft in der Politik wieder stärker zur Geltung brin- gen werden.

Was die wettbewerbsfähige Schweiz von morgen ebenso braucht wie die unternehmerische Freiheit, sind mutige Fürsprecherinnen und Fürsprecher aus der Wirtschaft: Fach- und Führungskräfte wie Sie, die für ihre Überzeugung hinstehen und sich der öffentlichen Debatte stellen. Damit auch unsere Kinder und En- kelkinder wirtschaftliche Krisen unbeschadet überstehen und weiterhin in Wohlstand und Sicherheit leben können. Ich zähle auf Sie.

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Referat Christoph Mäder am Tag der Wirtschaft, 9.9.2022
siehe auch Medienmitteilung von 
economiesuisse 

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