Keine Schwächung der Sozialwerke durch Zuwanderung

31.05.24 11:31

Die Migrationsströme der vergangenen zwanzig Jahre in die Schweiz lassen in Bezug auf die Sozialwerke des Bundes (AHV, IV, EO) nicht auf eine Unterwanderung schliessen. Umso mehr, als dass die prognostizierte Zuwanderung auch in Zukunft ihren verjüngenden Effekt auf unsere Sozialwerke entfalten kann. Einschränkungen der Personenfreizügigkeit würden es schwieriger machen, Arbeitsplätze zu besetzen. Die Finanzen der Sozialwerke des Bundes würden noch stärker ins Ungleichgewicht geraten und die Abgabelast für die arbeitstätige Bevölkerung in der Schweiz erhöhen.

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Das Thema Zu­wan­de­rung ist in aller Munde und po­la­ri­siert. Ab­seits ideo­lo­gi­scher De­bat­ten stel­len sich je­doch kom­ple­xe Fra­gen, zum Bei­spiel wie die Zu­wan­de­rung aus öko­no­mi­scher Per­spek­ti­ve zu be­ur­tei­len ist. Die Schweiz ver­zeich­net eine im Ver­gleich zu an­de­ren west­li­chen Staa­ten hohe Zu­wan­de­rungs­ra­te. Das er­mög­licht un­se­rem Land, Ar­beits­plät­ze zu be­set­zen, die Schwei­zer Ar­beit­neh­men­de nicht be­set­zen möch­ten oder kön­nen. Die Zu­wan­de­rung trägt damit mass­geb­lich zur De­ckung der Nach­fra­ge auf dem Ar­beits­markt und somit zur hohen Wert­schöp­fung in der Schweiz bei. Gleich­zei­tig be­fürch­ten Teile der Be­völ­ke­rung Aus­wir­kun­gen der Ein­wan­de­rung, bei­spiels­wei­se auf den So­zi­al­staat.

AHV pro­fi­tiert von Zu­wan­de­rung aus EU/EFTA-Staa­ten

Um den Ef­fekt der Zu­wan­de­rung auf un­se­re So­zi­al­wer­ke zu be­ur­tei­len, braucht es einen Blick auf die Struk­tur der Mi­gra­ti­on in die Schweiz. Wich­tig dabei ist die Un­ter­schei­dung der Zu­wan­de­rung im Rah­men der Per­so­nen­frei­zü­gig­keit (PFZ) aus der EU/EFTA und der Zu­wan­de­rung aus Dritt­staa­ten im Rah­men von Kon­tin­gen­ten. Denn die je­wei­li­gen Grup­pen wei­sen be­züg­lich Bei­trä­ge in und Leis­tun­gen aus den So­zi­al­ver­si­che­run­gen des Bun­des (AHV, IV, EO) un­ter­schied­li­che Merk­ma­le auf.

Ein For­schungs­be­richt im Auf­trag des Bun­des­am­tes für So­zi­al­ver­si­che­run­gen (BSV, 2023) kommt zum Schluss, dass Zu­wan­de­rer aus der EU/EFTA ein deut­lich tie­fe­res Leis­tungs-Bei­trags­ver­hält­nis aus­wei­sen als Schwei­zer. Das heisst, dass sie ver­hält­nis­mäs­sig mehr Bei­trä­ge an die So­zi­al­wer­ke AHV, IV und EO leis­ten und/oder we­ni­ger Leis­tun­gen be­zie­hen als der durch­schnitt­li­che Schwei­zer Staats­bür­ger. Für Zu­wan­de­rer aus Dritt­staa­ten sieht das Ver­hält­nis an­ders aus – sie wei­sen ein hö­he­res Leis­tungs-Bei­trags­ver­hält­nis als die Schwei­zer Be­völ­ke­rung aus.

Zu­wan­de­rer aus EU/EFTA-Staa­ten sind er­werbs­tä­tig und mobil

Be­stim­men­de Fak­to­ren für das Leis­tungs-Bei­trags­ver­hält­nis sind dabei der Um­fang und die Dauer der Bei­trä­ge und Be­zü­ge, er­wor­be­ne An­sprü­che, Er­werbs­quo­ten und Löhne der Zu­wan­de­rer. Ein tie­fe­res Ver­hält­nis er­gibt sich, wenn die Bei­trä­ge hoch sind (also eine hohe Er­werbs­quo­te und ein hoher Lohn) und die Be­zugs­dau­er der Leis­tun­gen kurz.

Das SECO (2023) be­ob­ach­tet bei Zu­wan­de­rern aus der EU/EFTA eine hö­he­re Er­werbs­quo­te als bei Schwei­zern. Die Er­werbs­quo­te von Zu­wan­de­rern aus Dritt­staa­ten ist hin­ge­gen tie­fer als beim Rest der Schwei­zer Be­völ­ke­rung. Denn wäh­rend Zu­wan­de­rer aus der EU/EFTA mehr­heit­lich mit einem Ar­beits­ver­trag in die Schweiz kom­men, ist die Zu­wan­de­rung bei den Dritt­staa­ten stark durch den Fa­mi­li­en­nach­zug ge­trie­ben. Für die So­zi­al­ver­si­che­rung po­si­tiv ist, dass nach Ein­füh­rung der Per­so­nen­frei­zü­gig­keit im Jahr 2002 der An­teil an Zu­ge­wan­der­ten aus dem EU/EFTA-Raum auf in­zwi­schen mehr als 70 Pro­zent ge­stie­gen ist (siehe Ab­bil­dung 1).

Zu­ge­wan­der­te ar­bei­ten zudem oft nur tem­po­rär in der Schweiz. Die BSV-Stu­die stellt bei den Zu­wan­de­rern aus der EU/EFTA eine kür­ze­re Auf­ent­halts­dau­er fest als bei den­je­ni­gen aus Dritt­staa­ten (siehe Ab­bil­dung 2).

Ver­jün­gungs­ef­fekt der Zu­wan­de­rung min­dert Druck auf Bei­trags­zah­len­de

Die AHV pro­fi­tiert in der Ge­samt­per­spek­ti­ve am meis­ten von dem re­la­ti­ven Ver­jün­gungs­ef­fekt durch die Zu­wan­de­rung. Weil die erste Säule als Um­la­ge­ver­fah­ren kon­zi­piert ist, wer­den die Leis­tun­gen der pen­sio­nier­ten Be­völ­ke­rung durch die Bei­trä­ge der er­werbs­fä­hi­gen Be­völ­ke­rung fi­nan­ziert. Nimmt das Ver­hält­nis von (jun­gen) er­werbs­fä­hi­gen zu (äl­te­ren) pen­sio­nier­ten Per­so­nen ab, er­höht sich die Fi­nan­zie­rungs­last für die Er­werbs­tä­ti­gen. Die Zu­wan­de­rung führt also zu einem tie­fe­ren Leis­tungs-Bei­trags­ver­hält­nis und min­dert somit die Be­las­tung der Schwei­zer Er­werbs­tä­ti­gen.

Diese Er­kennt­nis ist nicht nur eine Mo­ment­auf­nah­me: Der Ver­jün­gungs­ef­fekt hält unter Ein­be­zug der Pro­gno­sen zu De­mo­gra­fie und Zu­wan­de­rung bis ins Jahr 2070 an. An­ge­sichts der fort­schrei­ten­den Al­te­rung (Die er­bar­mungs­lo­se de­mo­gra­fi­sche Ent­wick­lung) der Schwei­zer Be­völ­ke­rung darf die­ser Ef­fekt nicht un­ter­schätzt wer­den. Ein­schrän­kun­gen der Per­so­nen­frei­zü­gig­keit dro­hen nicht nur den Ar­beits­markt, son­dern auch die Fi­nan­zen der So­zi­al­wer­ke des Bun­des wei­ter ins Un­gleich­ge­wicht zu brin­gen und er­hö­hen die Ab­ga­be­last für die er­werbs­tä­ti­ge Be­völ­ke­rung in der Schweiz.

Projektmitarbeiter Finanzen & Steuern
Senior Projektleiterin Finanzen & Steuern

Originalbeitrag economisuisse vom 30.5.24

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