Unser Staat ist in der Krise handlungsfähig – und muss es auch in Zukunft sein

06.04.20 11:51

Artikel economiesuisse 02.04.2020:
Zur Finanzierung der Corona-Notmassnahmen muss sich der Bund zusätzlich verschulden. Dank der soliden Haushaltslage wird die Verschuldung voraussichtlich tragbar bleiben. Um für weitere Krisen finanziell gewappnet zu sein, ist es dennoch wichtig, dass die Neuschulden über die Zeit amortisiert werden.

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Finanzpolitik                   Bundesfinanzen                    Schuldenbremse
 
 

Eine un­längst er­schie­ne­ne Pu­bli­ka­ti­on des Bun­des schlug keine Wel­len: die jähr­li­che Fi­nanz­sta­tis­tik der Eid­ge­nös­si­schen Fi­nanz­ver­wal­tung. Die Sta­tis­tik ent­hält die Ent­wick­lung der Fi­nan­zen von Bund, Kan­to­nen, Ge­mein­den und So­zi­al­ver­si­che­run­gen. Es ist ein in­for­ma­ti­ves Werk mit vie­len Zah­len, das die­ses Jahr mit «Hohe Über­schüs­se bei den öf­fent­li­chen Haus­hal­ten» über­schrie­ben war. Pu­bli­ziert wurde es am 5. März, eine Woche vor dem ers­ten Co­ro­na-Not­pa­ket des Bun­des­rats.

Einen Monat spä­ter steht die Schweiz in­mit­ten einer schwe­ren Krise, und das Bild hoher Über­schüs­se er­scheint ein fer­nes. Der Bund be­strei­tet zwar seine mil­li­ar­den­schwe­ren Not­pa­ke­te zum Teil noch aus vor­han­de­nen Mit­teln. Be­reits hat er aber be­gon­nen, zu­sätz­li­ches Geld am Ka­pi­tal­markt auf­zu­neh­men. Wie weit kann sich der Bund in der ak­tu­el­len Si­tua­ti­on neu ver­schul­den?  

MIT TIE­FER SCHUL­DEN­QUO­TE IN DIE KRISE – DANK SCHUL­DEN­BREM­SE

Die Ant­wort muss dif­fe­ren­ziert aus­fal­len. Das Ende der Krise ist nicht be­kannt, und ihre fi­nan­zi­el­len Fol­gen wer­den sich über Jahre er­stre­cken. Auch gibt es für das «rich­ti­ge» Mass der Ver­schul­dung keine uni­ver­sell gül­ti­ge Ant­wort. Der Bund ist im­mer­hin, wie die meis­ten an­de­ren Staats­we­sen der Schweiz auch, mit einer so­li­den Haus­halts­po­li­tik in den letz­ten Jah­ren gut ge­fah­ren.

Ende 2019 lag der Stand der öf­fent­li­chen Schul­den der Schweiz (alle Staats­ebe­nen) ge­mäss der er­wähn­ten Fi­nanz­sta­tis­tik nach Maas­tricht-Kri­te­ri­en be­rech­net bei 188 Mil­li­ar­den Fran­ken. Ins Ver­hält­nis zum Brut­to­in­land­pro­dukt ge­setzt, ergab das eine Schul­den­quo­te von 27 Pro­zent (Bund: 12,7 Pro­zent; Kan­to­ne: 7,7 Pro­zent; Ge­mein­den: 6,6 Pro­zent; So­zi­al­ver­si­che­run­gen: 0 Pro­zent); die Pro­gno­se für 2020 lag bei 26 Pro­zent. Eine Ver­schul­dung in die­sem Um­fang ist in­ter­na­tio­nal ge­se­hen tief. Ins­be­son­de­re tief ist sie aber, wenn man be­denkt, dass der staat­li­che Schul­den­stand der Schweiz vor 15 Jah­ren um 80 Pro­zent (!) höher lag (Schul­den­quo­te 2003: rund 48 Pro­zent). Seit­her hat vor allem der Bund seine Ver­schul­dung sub­stan­zi­ell um über 30 Mil­li­ar­den Fran­ken ab­ge­baut. Mög­lich war dies dank der ins­ge­samt guten Wirt­schafts­ent­wick­lung, der his­to­risch ge­se­hen ein­ma­lig hohen Ein­nah­men­si­tua­ti­on und vor allem dank der Schul­den­brem­se, die in den vie­len wirt­schaft­lich guten Jah­ren Haus­halts­über­schüs­se ver­lang­te und die Über­schüs­se in den Schul­den­ab­bau lenk­te.

SCHUL­DEN STEI­GEN, JE LÄN­GER DIE KRISE DAU­ERT

Um wie viel sich der Bund als Folge der Co­ro­na-Krise zu­sätz­lich ver­schul­den muss, ist heute nicht klar. Wich­ti­ge Pa­ra­me­ter wie die In­an­spruch­nah­me der Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gung sind noch offen. Auch könn­ten die Un­ter­stüt­zun­gen punk­tu­ell noch aus­ge­wei­tet wer­den. Im Sinne einer rea­lis­ti­schen Schät­zung kann von einem Mit­tel­be­darf von gegen 6 Mil­li­ar­den Fran­ken pro Monat aus­ge­gan­gen wer­den. Je län­ger die Krise dau­ert, je höher wird der Mit­tel­be­darf sein. Mas­siv in die Höhe schnel­len wür­den die staat­li­chen Aus­ga­ben zudem, wenn wei­te­re Teile der Wirt­schafts­pro­duk­ti­on her­un­ter­ge­fah­ren wer­den müss­ten. Davon ist im Mo­ment je­doch nicht aus­zu­ge­hen. Fi­nan­ziert der Bund die der­zeit be­schlos­se­nen Zu­satz­aus­ga­ben voll­stän­dig über Neu­schul­den, steigt die Schul­den­quo­te mo­nat­lich um rund einen Pro­zent­punkt. Das heisst, bei einem drei­mo­na­ti­gen Not­pro­gramm von gegen 20 Mil­li­ar­den Fran­ken läge die Schul­den­quo­te am Ende bei gut 29 Pro­zent. Bei Neu­schul­den von total 30 Mil­li­ar­den Fran­ken wäre die Marke bei über 30 Pro­zent. 


Szenarien Staatsschulden

 

Im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich würde auch eine hö­he­re Schul­den­quo­te noch immer als gut trag­bar gel­ten. Die Er­gän­zungs­re­gel der Schul­den­brem­se ver­langt je­doch, dass auch «aus­ser­or­dent­li­che Schul­den» über die Zeit amor­ti­siert wer­den. Die re­gu­lä­re Frist für die Amor­ti­sa­ti­on be­trägt sechs Jahre, kann aber er­streckt wer­den. Diese Pflicht zur Amor­ti­sa­ti­on ist rich­tig und wich­tig. Denn auch in Kri­sen auf­ge­nom­me­ne Schul­den sind Schul­den, die den Bund und damit uns alle be­las­ten. Selbst wenn sich der Bund heute mehr oder we­ni­ger gra­tis fi­nan­zie­ren kann: Schul­den müs­sen ir­gend­wann re­fi­nan­ziert wer­den, und ob die Zins­kon­di­tio­nen dann so gut sind wie heute, ist zu be­zwei­feln.  

FI­NAN­ZI­EL­LE SO­LI­DI­TÄT MUSS AUCH KÜNF­TIG GE­WÄHR­LEIS­TET SEIN

Die Fi­nanz­sta­tis­tik des Bun­des vom 5. März hat für die nächs­ten Jahre wei­ter­hin Über­schüs­se und einen fort­ge­setz­ten Schul­den­ab­bau pro­gnos­ti­ziert. Dazu wird es jetzt nicht kom­men. Es stimmt: Der Bund kann und soll Not­fall­un­ter­stüt­zung leis­ten, selbst in er­heb­li­chem Um­fang. Dies auch, wenn er nie­mals alle Ein­kom­mens­aus­fäl­le ent­schä­di­gen kann (wes­halb die Wirt­schaft mög­lichst rasch, so­bald dies mit dem ge­sund­heit­li­chen Schutz der Be­völ­ke­rung ver­ein­bar ist, die Ge­schäfts­tä­tig­keit wie­der auf­neh­men soll­te). Es stimmt aber auch: Er kann dies nur, weil er Schul­den ab­ge­baut hat und des­halb fi­nan­zi­ell grund­so­lid da­steht. Diese So­li­di­tät muss auch in der Zu­kunft ge­währ­leis­tet sein. Nicht, weil Haus­halts­aus­gleich, Über­schüs­se und Schul­den­ab­bau Ge­bo­te stu­rer Ord­nungs­po­li­tik sind. Son­dern weil sie hel­fen – auch und ge­ra­de in Kri­sen.

Dr. Frank Marty                                                           Lea Flügel
Mitglied der Geschäftsleitung,                                    Projektleiterin Finanzen & Steuern
Leiter Finanzen & Steuern

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