Wie erreicht Winterthur Netto Null 2040?

21.06.22 17:37

Im November 2021 stimmte die Winterthurer Bevölkerung dem Ziel «Netto-Null Tonnen CO2 bis 2040» an der Urne deutlich zu. Damit die Stadt in 18 Jahren klimaneutral ist, muss aber noch viel passieren. Um das Klimaziel zu erreichen, stützt sich die Stadt auf einen Massnahmenplan, der zahlreiche Massnahmen im Bereich Energieversorgung, Gebäude, Mobilität und Konsum beinhaltet.

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Eine Steigerung ist nötig

Winterthur hat einen weiten Weg vor sich. Die Treibhausgasemissionen pro Kopf lagen im Jahr 2020 bei durchschnittlich 4.3 Tonnen CO2-Äquivalenten. Dies entspricht einem Rückgang von 0.6 Tonnen (11%) im Vergleich zur letzten Erhebung im Jahr 2016. Es braucht kein Mathematik-Studium, um zu erkennen, dass das bisherige Tempo nicht reicht, um die angestrebte Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen. Auch die angestrebte Reduktion der Treibhausgasemissionen auf eine Tonne CO2-Äquivalenten bis im Jahr 2033 pro Person kann als sehr ambitioniert angesehen werden.

Absenkungspfad

Quelle: Landbote / Umwelt- und Gesundheitsschutz Winterthur, Emissionskataster Stadt Winterthur 2020
Konkrete Massnahmen

Wie also will die Stadt die Reduktion der Treibhausgasemissionen bewerkstelligen? Bereits 2021 hat das externe Beratungsunternehmen econcept einen Bericht für die Stadtverwaltung verfasst und darin verschiedene Massnahmen aufgeführt, wie das Klimaziel Netto-Null 2050 erreicht werden kann. Die dort formulierten Massnahmen wurden nun auf das Szenario 2040 angepasst, wobei econcept auf Rückfrage bestätigt, dass es dabei nicht zu grundlegenden Veränderungen gekommen ist. Öffentlich einsehbar ist das Addendum leider noch nicht, es liegt derzeit bei der städtischen Fachstelle für Klima, die sich nicht zu einem Veröffentlichungsdatum äussern möchte.

Bleiben also die Massnahmen für Netto-Null 2050. Bei deren Analyse sind aus Sicht der HAW folgende Dinge aufgefallen: Grundsätzlich sind viele der 54 aufgeführten Massnahmen sinnvoll und decken sich mit unseren Grundsätzen der Energiepolitik. Nicht alle vorgeschlagenen Massnahmen sind jedoch praktikabel.

  • Wirtschaftlichkeit
    • Laut Massnahmenplan sind für die Erreichung Netto-Null 2050 zusätzliche 1080 Stellenprozent und jährliche Mehraufwand von CHF 6.8 Millionen nötig. Für Netto-Null 2040 bedarf es laut dem Verfasser econcept einer weiteren Steigerung des Personal- und Finanzierungsbedarfs. Doch Winterthur brüstet sich nicht gerade mit einer komfortablen finanziellen Lage, worauf die HAW in verschiedenen Beiträgen bereits aufmerksam gemacht hat. Dass Ökologie und Ökonomie kein Widerspruch darstellen, zeigen unzählige private Initiativen aus der Wirtschaft, darunter die Science Based Target Initiative (SBTI), aber auch diverse privatwirtschaftliche Projekte, über welche die HAW bereits berichtet hat.

  • Verhältnismässigkeit
    • Stets im Hinterkopf behalten muss man das Verhältnis zwischen Eingriffen in die persönliche Freiheit der Bevölkerung und der Wirksamkeit der geplanten Massnahmen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die geplante Einführung von vier autofreien Tagen im Jahr (M 1.1). Diese tragen laut econcept insgesamt sehr wenig zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bei, bedeuten aber eine starke Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bevölkerung. Auch der diskutierte Rückbau des Gasnetzes ist aus Sicht der HAW kontraproduktiv. Zum einen kann das Netz mit vertretbarem Aufwand für umweltschonende Energieformen wie Biogas und Wasserstoff genutzt werden, zum anderen werden mit dem Rückbau laut econcept Sonderabschreibungen von bis zu CHF 300 Millionen notwendig (E 4.1).

  • Zunehmender Staatseingriff
    • Generell ist zu beobachten, dass sich die Stadt immer mehr mit Aufgaben betraut, die nicht von staatlicher Seite übernommen werden sollten. Dazu gehören beispielsweise die geplante Förderung eines Velo-Kurierdienstes oder der Erwerb von Transportvelos für lokale Handwerker. Dieser Entwicklung steht die HAW kritisch gegenüber. Wichtiger ist es, dass von städtischer Seite her Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit möglichst viele private Initiativen und Projekte realisiert werden können. Winterthurer Unternehmen können so wichtige technologische Impulse geben, um das Klimaziel zu erreichen. Die HAW vertritt ohnehin die Ansicht, dass stärker auf technologische Fortschritt als auf staatliche Eingriffe gesetzt wird, um den Klimawandel zu bekämpfen.
Eine grosse Herausforderung

Für die HAW ist unbestritten, dass der Klimawandel und die Reduktion der Treibhausgase grosse Herausforderungen darstellen. Die bisher veröffentlichten Massnahmen für Netto Null 2050 gewähren einen guten Einblick, wie die Stadt dieser Herausforderung begegnen will. Die Zielsetzung Netto-Null stellt aber auch grundsätzlichere Fragen. Inwieweit kann zum Beispiel diese Zielsetzung mit einem Bevölkerungswachstum, wie es in der Perspektive Winterthur 2040 geplant wird, erreicht werden? Müssen tatsächlich knapp 11 Vollzeitstellen geschaffen werden oder kann das Personal anderweitig kompensiert werden? Wie wird die innerstädtische Logistik organisiert und ist die Beschränkung auf das Gebiet der Stadt überhaupt sinnvoll oder soll mehr in der Dimension Region Winterthur, Kanton Zürich oder Schweiz gedacht werden? 

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